18/06/2019 tlaxcala-int.org  8 min 🇩🇪 #157960

Mehr als ein Dutzend Straftaten/ Ermordung Lübckes grausamer Höhepunkt? Die Akte von Neonazi Stephan E.

Focus Online

Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen den 45-jährigen einschlägig vorbestraften Stephan E.. Er sei dringend verdächtig, Lübcke Anfang Juni heimtückisch durch einen Kopfschuss getötet zu haben, berichtete die Karlsruher Behörde am Montag.

Der Tatverdächtige im Fall Lübcke, Stephan E., am 30. August 2002 auf einer Wahlkampfkundgebung der NPD in Kassel. Foto NSU-Watch

Bei dem tatverdächtigen Deutschen handelt es sich um einen mehrfach vorbestraften Mann, der nach Angaben aus Sicherheitskreisen zumindest in der Vergangenheit Verbindungen in die rechtsextreme Szene hatte. Spezialeinheiten hatten ihn am Samstag in Kassel gefasst, seit Sonntag sitzt er unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt hatte das Verfahren am Montag an sich gezogen.

Stephan E. ist in der Vergangenheit wiederholt durch rechte Gewalttaten aufgefallen. So soll er 1993 Medienberichten zufolge einen Rohrbombenanschlag auf ein Asylbewerberheim ausgeführt haben. Inzwischen ist klar: Es gehen noch viel mehr Taten auf das Konto des Hobby-Sportschützen, der sich auch im Umfeld der Kasseler  NPD bewegte.

November 1992: Stephan E. versucht zum ersten Mal, einen Menschen zu töten. Auf einer Toilette am Wiesbadener Hauptbahnhof fühlte er sich von einem Mann "sexuell angemacht". Das soll E. einem Bericht der " Zeit" zufolge vor Gericht ausgesagt haben. Als der Mann am Urinal stand, griff E. ihn mit einem Messer von hinten gleich zweimal an. Der lebensgefährlich verletzte Mann kann nur durch mehrere Notoperationen gerettet werden. Bei dem Opfer handelte es sich, so steht es dem "Zeit"-Bericht zufolge auch im Urteil wegen versuchten Totschlags, "erkennbar um einen Ausländer".

Dezember 1993: Mit einer Rohrbombe versucht Stephan E., einen Anschlag auf eine Asylbewerberunterkunft im hessischen Hohenstein-Steckenroth zu verüben. Doch die Attacke misslingt glücklicherweise. Die Bewohner greifen ein, bevor der Sprengsatz detoniert. Stephan E. wird wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren ohne Bewährung verurteilt.

1994: In Haft wird der Tatverdächtige im Fall Lübcke offenbar erneut gewalttätig. Er verletzt einen anderen Häftling durch einen Schlag mit einem Stuhlbein aus Eisen.

August 2003: Stephan E. zieht es nach seiner Zeit in Haft in den hessischen Norden. In der Nähe des Messeplatzes in Kassel soll er einen " Bild"-Bericht zufolge einen gemeinschaftlichen Totschlag begangen haben. Wenig später zieht er nach einer Prügelei in der Öffentlichkeit erneut die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich. Weitere Bericht zu diesen beiden Vorfällen gibt es allerdings nicht.

Januar 2004: Im mittelhessischen Gladenbach nimmt Stephan E. an einer rechtsextremen Demonstration teil. Ausgerichtet wird die Demo von einer vom hessischen Verfassungsschutz beobachteten Neonazi-Vereinigung. Stephan E. trägt ein Messer bei sich und verstößt damit gegen das Versammlungsgesetz.

Mai 2009: Bei einer Demonstration von etwa 400 Neonazis in  Dortmund tritt Stephan E. erneut in Erscheinung. Dort greifen mehrere Neonazis, so berichtet es die "Zeit", Teilnehmer der Maikundgebung des DGB mit Steinen, Holzstangen und Fäusten an. Mehr als ein Dutzend Rechtsextremisten wurden später verurteilt - darunter auch Stephan E.. Er erhält sieben Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Weitere Delikte: Schwerer Diebstahl, Wohnungseinbrüche, Ladendiebstahl

Zu den genannten Fällen sollen zwischen 1988 bis 2004 weitere Straftaten kommen. Insgesamt gehen laut "Bild"-Zeitung mehr als ein Dutzend Delikte auf das Konto von Stephan E. - darunter schwerer Diebstahl, Wohnungseinbrüche und Ladendiebstahl.

Außerdem soll der Tatverdächtige  der rechtsextremen Organisation "Combat 18" angehören, die seit Anfang des Jahrtausends hierzulande aktiv ist. Der Verfassungsschutz ist davon überzeugt, dass die Gruppe einen nationalsozialistisch geprägten Staat aufbauen will und Gewalt als legitimes Mittel im politischen Kampf sieht.

Der Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke scheint der grausame Höhepunkt der extremistischen Karriere von Stephan E. zu sein.

Ein gerahmtes Porträtfoto des erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ( CDU) steht beim großen Festumzug auf dem 59. Hessentag auf einem Platz der Ehrentribüne. Foto dpa

Die Chronologie des Fall Lübcke

2. Juni: Ein Angehöriger findet um 0.30 Uhr Lübcke mit einer Kopfwunde auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha (Kreis Kassel). Gegen 2.35 Uhr wird der Tod Lübckes festgestellt. Polizei und Landeskriminalamt ermitteln wegen unklarer Todesumstände.

3. Juni: Die Ermittler erklären, dass Lübcke durch einen Kopfschuss aus nächster Nähe getötet wurde. Täter und Motiv sind unklar. Eine 50-köpfige Sonderkommission wird eingerichtet.

5. Juni: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisiert Reaktionen in sozialen Netzwerken zu Lübckes Tod, die "zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig" seien. In  der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" bitten Ermittler um Zeugenhinweise. Über 200 Hinweise gehen in den nächsten Tagen ein.

8. Juni: Bei einem Polizeieinsatz an einem Nordsee-Fährhafen wird eine Person in Gewahrsam genommen und einige Stunden später wieder auf freien Fuß gesetzt. Es hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass der Mann an der Tat beteiligt war, erklären die Ermittler.

13. Juni: In Kassel nehmen über 1300 Menschen bei einem Trauergottesdienst Abschied von Walter Lübcke.

15. Juni: Spezialeinheiten  der Polizei nehmen in Kassel einen 45-jährigen Tatverdächtigen fest. Grund seien DNA-Spuren.

16. Juni: Gegen den Mann wird Untersuchungshaft erlassen, er kommt in die Justivollzugsanstalt Kassel I. Die Ermittler sprechen erstmals von Mord als Tatvorwurf.

17. Juni: Nach Hinweisen auf einen rechtsextremen Hintergrund übernimmt der Generalbundesanwalt die Ermittlungen.

Courtesy of  Focus Online
Source:  focus.de
Publication date of original article: 18/06/2019

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